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Die Ironie des Rauchens...

  • Angelika Urban
  • Sep 15, 2015
  • 4 min read

Noch gar nicht lange her, da blies sich eine kleine, zierliche Psychologin vor mir auf. Sie zeigte mit dem Finger direkt auf mich. Stellte mich blos vor versammelter Mannschaft (die ja angeblich sonst komplett gar nicht raucht... hüst, hüst). "Why are you still smoking?" Mit aller stimmlicher Kraft Ihrer zarten Gestalt. Ich war verdutzt. Doch nach kurzer Reaktionszeit fühlte ich mich etwas provoziert. "Still?" Ich hätte auch einfach antworten können, dass ich süchtig bin. Aber das weiß sie ja. Also blieb ich ganz ruhig, hielt den Augenkontakt und antwortete "Hm... because I need it for my relaxation." Nicken, keine Antwort. Aber was tut man jetzt, wenn man aufhören muss zu rauchen. Wenn man das gar nicht will!!!??? Weil der Arzt es sagt. Ärzte sagen es ja immer und der kleine Bruder und die Nichte, die sagen das schon lange. Papa sowieso. Und der Körper, der sagsts jetzt auch, oder die Durchblutung, vielleicht auch das Herz oder die Organe. Die Lunge röchelt so vor sich hin. Da kommt dann auch langsam die Vernunft mit ins Spiel. Ich versuche mich psychologisch auf den richtigen Weg zu bringen. Was gibt es für Argumente? Rationalität zählt in dem Fall ja nicht..... Knutschen? Zwiespältig. Singen? Zwiespältig, wenn man ne Alt-Stimme hat - gerade das erzeugt ja den sexy rauchigen Charakter. Außerdem: alle großen Rockstars rauchen viel - mindestens. Meine Mutter sagte eins: "Alle interessanten Menschen rauchen."

Was ist denn mit der Gesellschaft? Ich krieg nen Anfall - ich finde Zigaretten extrem ästhetisch. Die Selbstgedrehten besonders. Und diese lächerlichen Monster-Ersatz-Geräte?Davon kriegt man doch erst recht ne Atemwegserkrankung und die Dinger sind ja selbst nur Gefäße. Da gefährde ich lieber meine eigenen Gefäße. Rauchen HAT Stil, Kultur und Klasse, das war doch schon in den 50gern so. Stinkende Klasse. Okay, ich gebe zu die verqualmten Zugabteile, die es bei der Bahn mal gab, lösen in meiner Erinnerung auch Brechreiz aus - aber so ist das ja alles gar nicht mehr. Verqualmte Kneipen und Bars wiederum - die haben Charme, wo kann man besser philosophieren oder heikle Themen besprechen als im Schutz der Nebelwolke?

Wenn man jetzt natürlich an dicke alte Männer denkt, die verqualmt vor der Glotze verwesen, im Unterhemd und mit Tennissocken... oder an ITler, nicht alle, aber die, die die Sonne nicht kennen, die mit den Pilzkulturen im Pizzakarton. Die im grellen Bildschirmlicht nur noch durch den Raucherhusten lebendig erscheinen. Ich gebe zu, das hat nicht so viel Kultur. Und Stil erst recht nicht. Oder die dürren Lehrerinnen früher aus der Schule. Rauchige Stimme und katastrophale Schrunzelgesichter, am Körper nix dran außer der klassiche Rock und der fein gebügelte Blazer. Die Work-Life-Balance suchen sie auf der Sonnenbank oder im Flachmann. Vielleicht ist der Tussi-Toaster dabei auch Strategie - unterm Deckmantel der dunkelbraunen Faltenmembran - da entdeckt selbst der Direktor nicht die roten Säuferbäckchen. Und wenn ein Schüler oder eine Schülerin unerwartet vom Pausenhof ausbricht und die hektische Flachmann-Kippe-Meditiaon stört - kurzer Prozess: Blauer Brief! Gründe lassen sich finden. Vor allem weil man ja als Vorbildfunktion weiß, wie dumm man eigentlich ist. So wie ich. Dabei ist man doch so klug, eigentlich.

Wahnsinnig klug und gebildet, deswegen überliest man ja auch die Information. Steht doch auf der Packung. Verkaufsfördernde Produktbeschriftung: Impotenz, Gefäßerkrankung, Lungenkrebs, Durchblutungsstörungen etc. pp. Ich bin klug, ich lass mich nicht beleeren, nicht von einer aufgedruckten Information. Jetzt rauche ich erst recht. Ich kaufe den Tabak und verqualme viel Geld.

Wie sieht das aus mit Geld? GELD... wenn ich dieses Todes-Wort nur höre... WAAAAAS???? Meine liebe asiatische Späti-Verkäuferin verdient nur 15 Cent an einer Schachtel Marlboro. Und das aus Ihrer Haupteinnahme-Quelle, neben Alkohol. Und am Wochenende darf Sie Ihre Lebensmittel nicht verkaufen? Kein Wunder, dass sie sich ein "Geld-Segen-Gebetshäuschen" in den Laden stellt. Und den Laden nicht schliesst, obwohl sie selbst krank vor Überarbeitung ist.

Ich erhebe meinen MITTELFINGER aber ganz deutlich gen TABAK-INDUSTRIE. Ich stell mich an mein Fenster und brülle - Ihr Schweine! Kapitalisten! Wie wird denn eine Zigarette überhaupt bei euch hergestellt. Erzählt mal bitte. Outsourcing. Was soll die "Aufklärung" auf den Plakatwänden: "Raucht nicht für den Terrorismus"! Wer ist hier der Terrorist?... "Kommt alle zurück zu Papa Morris, DON`T BE A MAYBE!"

MEIN GELD kriegt er nicht mehr - das wird lieber an die Freundinnen meiner Späti-Verkäuferin weitergegeben. Eingesetzt für ehrliche Arbeit. Druchblutungsfördernde Thai-Massagen. Das quierlig unverständliche Geplapper dabei hat doch viel mehr Entspannungspotential als jedes überteuerte Mediations-Angebot. Und so eine Entspannung können mir ja keine 1000 Glimmstengel bieten.

Drohende Fettleibigkeit? Mit dem Bewegungsdrang? Wie soll das denn bitte funktionieren. Vom gesparten Geld könnte ich ja sogar ein neues Rennrad kaufen oder zum Thai-Boxen gehen.

Ich könnte euch aber überraschen: mit einer strahlend frischen Gesichtsfarbe ohne Grauschleier. Aber ich warne euch aus Erfahrung: ich könnte erstmal brüllend hustend und völlig Aggro vor euch stehen, mit Gegenständen nach euch werfen, vielleicht mit Hass-Avocados. Oder jede Tür im näheren Umfeld zuknallen. Andererseits besteht auch Gefahr, dass ich im Gespräch wie ein Duracell-Häschen auf und ab springe. Oder zum Ausgleich permanent singend durch die Stadt springe und euch tierisch (es gibt Bambuspfeifen, mit denen kann man Tiergeräusche imitieren) auf die Nerven gehe.

Erklärt mich bitte auch nicht für verrückt, wenn ich im Gespräch plötzlich eine Möhre aus der Tasche ziehe. Oder am Besten gleich meine Maultrommel. Vielleicht mach ich auch irgendwelche völlig irren Mundbewegungen, wie ein lebendiger Blasebalg oder so. Mit komischen Pust- Pfeif- oder Schnalzgeräuschen. Ich sage dann einfach, es ist Yoga. Und wenn das zuviel wird - da gibt es ja viele Mittel und Wege. Schreiben zum Beispiel. Boxsäcke, Essenschlacht, afrikanische Buschtrommeln, Drumsticks, man könnte auch mit Kochlöffeln auf Töpfe schlagen. Oder Nazis verprügeln. Es gibt Spinning-Kurse, Cybertraining, Hypnose, Akupunktur, bunte Klebebänder, Yoga-Pilates-Body-Art-Feldenkreis-Heileurythmie-Ashtanga-Bikram-Yin-Kundalini-Zumba-Tango-Kickboxen: der neueste Trend!

Treppen zum Rauf und Runter rennen. Rhytmusübungen auf den eigenen Oberschenkeln (muss ich sowieso lernen). Putzwut - die Mitbewohner würden sich freuen. Man könnte expressionistisch auf der Klaviatur rumhacken. Meditative Klangugeln sind gleichzeitig gut für die Maushand. Oder THC, Valium, MDMA, Johanniskraut, Ginkobäume, Kauknochen für Hunde. Beißspielzeug für Babys. Gummizellen, Hüpfburgen, Trampoline... Antidepressiva, Amphetamine, Ritalin - ganz groß im Kommen. In der Charite z.B. da gibts Ketamin, sagt man. Zur Not lässt man sich von Highpraktikern beruhigen. Die können das!

Ein Versuch ist es wert - sollte es allerding passieren, dass ich schlagartig, wie vom Belzebub besessen, aus einer sozialen Herde ausbreche - dann findet ihr mich qualmend hinterm Baum. Und wenn ich öffentlich rauchend vor euch stehe, dann hab ich reduziert und paffe heimlich ne E-Zigarette in meinem Zimmer. Dann hat alles nicht funktioniert!

Dann rauch ich aus Idealismus! Und male ein Plakat für meine Zimmertüre: urban raucherstube!


 
 
 

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